Erkundung von Konfliktorten

Kein Frieden auf dem Balkan ohne Frieden zwischen den Religionen

Der Vorstand der Vereinigung „Ad Pacem servandam“ hat im August 2021 seinen diesjährigen Friedensmarsch in Bosnien-Herzegowina durchgeführt. Ziel des Marsches war wichtige Orte der Kriegsgeschehen im Zweiten Weltkrieg und im Bosnienkrieg (1992-1995) zu besuchen, um zu verstehen, welche Folgen und Wunden dieser ethnischen Kriege heute noch zu spüren sind.

Nachdem wir ein paar Tage durch die einzigartige Landschaft gewandert sind, haben wir in Mostar und Sarajevo Kriegsmuseen und -denkmäler besichtigt. Bei aufschlussreichen Treffen mit den dortigen Religionsgemeinschaften haben wir erfahren, wie schwierig deren Zusammenleben heute noch ist. Die Wunden der Bosnienkriege sind noch nicht geheilt. In Jablanica hatten wir außerdem die Gelegenheit, die Folgen der Schlacht an der Neretva kennenzulernen.

Wandern
Wir starteten unseren Friedensmarsch auf der Via Dinarica, einem Fernwanderweg, der die westlichen Balkanländer verbindet. Die atemberaubende Natur befreite uns vom alltäglichen Stress. Der Tagesrhythmus wurde durch Sonnenaufgang und -untergang bestimmt. Beim langsamen Aufstieg in die Berge konnten wir die Landschaft hautnah erleben. Die Düfte der Bergkiefern sind intensiv, beim Aufstieg auf den Veliki Vran (2000 m.) ist in der Mittagszeit die Hitze fast unerträglich, die einfachen Mahlzeiten und die unterwegs gepflückten Früchte schmecken oft besser als wir gewohnt sind, die weite Sicht ist eindrucksvoll und nachts sind die Geräusche des Windes im Zelt fast unheimlich. Die Orientierung im dichten Wald und auf den spärlich markierten Wanderwegen, welche tunlichst nicht zu verlassen sind, wird oberhalb der Baumgrenze schwieriger. Die Ruhe wird manchmal nur von Hirten und deren Schafsherden durchbrochen. Wanderer sind in dieser eher kargen, wilden Landschaft kaum anzutreffen.

Viel Zeit hatten wir, um uns der Schönheit der Umgebung und der Freiheit in den Bergen bewusst zu werden. Wir schätzten uns glücklich, solche Freiheiten in diesen einschränkenden Coronazeiten voll auskosten zu dürfen. Wir konnten ausgiebig nachdenken und uns über die Menschen austauschen, denen es durch die vergangenen Kriege hier in Bosnien noch heute schlecht geht.


Jablanica
In Jablanica, der ersten Stadt, die wir besuchten, ist der Titokult noch stark verwurzelt. Dies erlebten wir vor allem im einzigen Museum der Stadt. Hier wird die Schlacht an der Neretva (Anfang 1943) verherrlicht, in der Titos Partisanenverbände mit ihren Verwundeten den Achsenmächten über den Fluss Neretva entkommen konnten. Durch den weltweit berühmten Film „Die Schlacht an der Neretva“ (1968) propagierte der damalige jugoslawische Staatspräsident Josip Broz Tito die kommunistischen Ideale seines Staates. Pablo Picasso entwarf das Werbeplakat für den Film.

Tito verfolgte das Ziel, alle jugoslawischen Völker in einem kommunistischen Staat zu vereinigen. Aus diesem Grund ließ er jeglichen Widerstand ethnischer Minderheiten blutig niederschlagen. Das erzwungene Zusammenleben der südslawischen Völker durch die kommunistische Diktatur ist einer der Hauptgründe des Zusammenbruchs Jugoslawiens. Es wird zum Auslöser der Bosnienkriege in den neunziger Jahren. Alle unterdrückten Ethnien (Slowenen, Kroaten, Bosniaken, Kosovo-Albaner, Nordmazedonier) führten Kämpfe gegen die Serben, die militärisch und politisch das Auseinanderfallen Jugoslawiens verhindern wollten. Der dreieinhalbjährige Krieg in Bosnien-Herzegovina endete mit dem Dayton-Vertrag am 21. November 1995, der von den Präsidenten der neuen Staaten Serbien, Kroatien und Bosnien-Herzegovina unterschrieben wurde.

Bei unseren Besuchen in Mostar und Sarajevo konnten wir die noch offenen Wunden dieses Krieges wahrnehmen.


Mostar
Während des Bosnienkrieges 1992-95 wurde diese Stadt an der Neretva durch die Frontlinie der Kämpfe in einen westlichen und östlichen Sektor geteilt. Diese Frontlinie teilt bis heute, auf unsichtbare Weise, entlang des Bulecar Hrvatski Branitelja  Mostar in zwei Teile. Nicht weit davon entfernt befindet sich die Brücke Stari Most, die das Wahrzeichen Mostars ist. Sie symbolisiert das Zusammentreffen von West und Ost und wurde im Krieg vollständig zerstört. Der komplette originalgetreue Wiederaufbau wurde 2004 abgeschlossen. Seit 2005 gehört die Brücke zum UNSECO Weltkulturerbe. Bei unserer Stadtbesichtigung konnten wir einigen mutigen Sportlern des lokalen Schwimmvereins dabei zuschauen, wie sie als Touristenattraktion von der 25 Meter hohen Brücke in die Neretva sprangen.

Während unseres Aufenthaltes hörten wir sowohl die Muezzins, die von den Minaretten zum Gebet aufrufen, als auch die Kirchenglocken. Das Stadtbild wird somit geprägt von Moscheen, katholischen und orthodoxen Kirchen. Hier leben die Religionsgemeinschaften nebeneinander, doch der Brückenschlag zwischen ihnen bleibt noch immer schwierig.

In Gesprächen mit einem serbisch-orthodoxen Priester, einem römisch-katholischen Pfarrer und einem Hodza (bosnischer Titel für Imam) konnten wir erfahren, dass die Versöhnung und das friedliche Zusammenleben weiterhin sehr schwierig sind. Katholische Kroaten, orthodoxe Serben und muslimische Bosnier konzentrieren sich heute vor allem darauf, ihre eigene Religionsgemeinschaft zu organisieren und zu festigen. Für das religionsübergreifende Miteinander fehlen Gelegenheiten und die Modelle. Während viele Kriegsveteranen eher den Frieden wollen, werden unter den Jugendlichen, so erklärte uns ein Hodza in Mostar, mit der Zeit viele (alte) ethnisch-kulturelle Vorurteile wieder spürbarer.


Sarajevo
Das Zusammenleben der religiösen Gruppen schien uns im Gegensatz zu Mostar in Sarajevo friedvoller. Es gibt fruchtbare Austauschmöglichkeiten und Begegnungen unter den Gläubigen der verschiedenen Religionsgemeinschaften, zu denen in dieser Stadt auch noch die Juden gehören, deren Gemeinschaft in Mostar sich aufgelöst hat.

Sarajevo ist eine geschichtsträchtige Stadt. Hier verübte am 28. Juni 1914 Gavrilo Princip, ein serbischer Nationalist, ein Attentat auf den österreichisch-ungarischen Thronfolger Franz Ferdinand und dessen Ehefrau Sophie. Einen Monat später, am 28. Juli 1914, erklärte Österreich-Ungarn den Serben den Krieg. Dieses Datum markiert den Beginn des Ersten Weltkrieges.


Die Folgen der ethnischen Kriege von 1992-95
Durch den Bosnienkrieg hat sich die Zusammensetzung der Bevölkerung stark gewandelt. Erst 2013 wurden neue Zahlen veröffentlicht. Sie zeigen große Veränderungen im Vergleich zu den Zahlen der letzten Volkszählung 1991, als die Menschen noch angeben konnten, ob sie sich als Jugoslawen verstanden. 2013 mussten die Menschen sich entscheiden und festhalten, zu welcher ethnischen Gruppe sie sich zugehörig fühlten. Dies ergab folgende Zahlen für Bosnien Herzegovina: 50,11% erklärten, sie seien Bosnier (muslimische Bosniaken), 30,78% Serben, 15,43% Kroaten und 2,73% zählten sich zu anderen Minderheiten bzw. fühlten sich keiner zugehörig.

In der Stadt Sarajevo stieg der Anteil der Bosniaken auf 80,74%, während die Serben etwas weniger als 4% und die Kroaten etwa 5% der Bevölkerung stellen. Ungefähr 10% der Menschen erklärten, sie würden keiner Ethnie angehören, oder sie bezeichneten sich einfach als Bosnier. In Mostar liegt der kroatische Anteil bei 48,5% und der bosnische bei 44%. (Alle Zahlen sind aus Analisa Bruni, Sarajevo e Mostar pocket, lonely planet u. EDT srl, Turin, 2019, S.19 entnommen)

Die Herkunft der bosnischen Nationalität geht auf die Zeit Titos zurück, als 1968 diese nationale Identität gewählt wurde, um die Nachkommen der Südslawen zu bezeichnen, die den islamischen Glauben vertraten.

Von unseren Gesprächen wissen wir, dass die Mehrheit der bosnischen Muslime einen toleranten Islam vertreten.

Die Belagerung Sarajevos durch die jugoslawische Volksarmee begann am 4. April 1992 und endete nach 1425 Tagen. Die Bevölkerung war von der Außenwelt abgeschnitten und konnte anfangs nur durch eine Luftbrücke versorgt werden. Später kam ein unterirdischer Tunnel dazu, der die Verbindung mit der Außenwelt herstellte. Ein Verlassen der Häuser konnte damals tödlich enden, da in der hügeligen Umgebung Sarajevos überall Scharfschützen positioniert waren.

In einem Teil der Galerie 11/07/95, eines Museums von Sarajevo, wird der Alltag in der belagerten Stadt durch Filmausschnitte dargestellt. Leid und Hoffnung lagen in jenen Tagen ganz nah beieinander. Ein großer Teil der Ausstellung ist der ethnischen Säuberung von Srebrenica gewidmet. Hier verübten die Kämpfer der serbischen Armee der Republik Srpska vom 11. bis zum 19. Juli 1995 mehr als 8000 Ermordungen an männlichen Bosniaken. Frauen und Mädchen wurden vergewaltigt.

Aber bis heute schweigen die meisten Opfer, denn viele Täter leben frei und sind einflussreich geblieben.  Ein Besuch im “Museum of crimes against humanity and genocide” vermittelt alle diese Gräueltaten und zeigt die Schicksale in allen Einzelheiten. In der ganzen Stadt verteilt erinnern Denkmäler ebenfalls an diese Taten. So stießen wir bei der Besichtigung der Stadt immer wieder auf die sogenannten „Rosen von Sarajevo“. Es handelt sich hier um die Einschusslöcher von Granaten, die mit roter Farbe ausgefüllt wurden.

Die Stadt wird (noch immer) als Europas Jerusalem bezeichnet, da hier die großen Religionsgemeinschaften nebeneinander leben und Ost und West miteinander verbunden sind. Wie oben erklärt, sind aber heute 80 % der Bevölkerung Sarajevos muslimischen Glaubens und damit ist die Bezeichnung nicht mehr zutreffend.

Die Einflüsse der vergangenen Imperien Österreich-Ungarn und Osmanisches Reich sind an der Architektur von Moscheen, Synagogen und Kirchen der verschiedenen christlichen Konfessionen zu sehen.

Auffallend ist das eher zaghafte Bemühen der verschiedenen Religionen, Dialog und Begegnung zu fördern. Die Verantwortlichen wissen nämlich, dass es keinen Frieden in der Gesellschaft ohne Frieden zwischen den Religionen auf dem Balkan geben kann.

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